Man ist wo man ist…

März 18, 2008

„Es ist was es ist“ habe ich an dieser Stelle ja schon mal diskutiert. In den letzten Tagen musste ich feststellen: „Man ist *wo* man ist“. Nachdem mir Stefan Stenudds Buch in Schweden mal wieder über den Weg gelaufen ist, dachte ich mir, ich sollte das vielleicht nochmal lesen. Ist schon eine ganze Weile her, dass ich es zum ersten Mal gelesen habe. Ich weiß noch wie ich damals dachte, dass ich manches darin schon ganz schön abgefahren fand. Nachdem ich das Buch jetzt zum zweiten Mal schon halb durchgelesen habe, kann ich jedem nur empfehlen, gute Aikido-Bücher immer und immer wieder zu lesen. Sie werden nicht langweilig, das garantiere ich, denn jedes Mal ist man selbst ja wieder mit dem eigenen Verständnis an einer anderen Stelle und versteht so das Geschriebene endlich oder versteht es neu und anders. Eine gute Aikidobibliothek muss also nicht umfassend und teuer sein um einen lange zu beschäftigen 🙂

Im Zusammenhang mit diesem Verständnis und dem Lesen von Büchern kommt mir langsam allerdings auch der Verdacht, dass das Lesen zwar mein Wissen aber nicht mein Verstehen direkt verbessert (ich glaube so ähnlich steht das sogar in dem Buch drin). Stenudd schreibt, dass zuerst das Wissen kommt. Also das Ansammeln von Informationen auf theoretische Art und Weise. Aber dann erst kommt das Verstehen. Und sobald man versteht kann man das Wissen vergessen und den Hasen geben. Macht Sinn, oder? So ähnlich geht es mir jedenfalls mit Aikido-Büchern:

Manches darin kapiere ich schlichtweg nicht und ist noch zu hoch für mich. Auch wenn es mir drei Mal vorgekaut wird, so werde ich es trotzdem nicht verstehen. Weil ich offensichtlich noch nicht an dem richtigen Punkt bin um es zu verstehen.
Anderes glaube ich zu verstehen, auf eine theoretische Art. Mein Kopf denkt sich „ja, da ist was dran“, aber richtig „verstanden“ habe ich es noch nicht. So ging es mir mit vielem in diesem Buch als ich es zum ersten Mal las.
Und dann gibt es manchmal Sachen, die liest man und man versteht einfach. Mit Körper, Seele und Geist. Und alle drei rufen laut „ja, genau!!!“. Beim momentanen Lesen des Buches geht es mir schön öfter so als beim ersten Mal. Was ist der Unterschied? Ein paar Jahre Training, viel keiko, körperliches Üben. In letzter Zeit macht es mich manchmal echt fertig (im positiven Sinn) wie eng der Zusammenhang zwischen physischem Üben und geistigem/emotionalem Verstehen ist. Und dann auch noch, wie sich mit jedem kleinen Schrittchen des Verstehens neue Türen öffnen und das was man nicht versteht immer mehr wird 🙂 Das ist ein tolles Paradoxon so wie eine Tafel Schokolade die immer größer wird je mehr man davon isst. Wer mich kennt weiß, dass das meine Vorstellung vom Himmel ist 🙂

Ich lerne außerdem immer mehr, dass ich die kleinen Schritte des Verstehens nicht beschleunigen kann. Man ist eben wirklich wo man ist und nirgendwo anders. Und wo man ist, ist streng genommen völlig egal. Die Schritte sind das was zählt, nicht wie weit man damit gekommen ist. Ein guter Lehrer merkt dann genau, wo der Schüler steht und was er braucht um den nächsten Schritt zu machen. Sottaku doji. Das zusammen mit Training lässt uns Schritte machen. Einen nach dem anderen, mit Geduld (die ich noch nie wirklich hatte…) und ohne zu rennen. Vielleicht darf ich an dieser Stelle mal wieder meinen Held Pohlmann zitieren, der in seinem Lied „Die Liebe“ singt:

„Und die Träume nach Perfektion
Haben lange schon nach uns geschrieh’n
Und sie machen dass wir so schnell laufen wollen
Als wollte einer der Erste sein
Es bringt ja nichts zu versuchen aufzuholen
Denn wer rennt rennt oft allein.“

Er singt da ja eigentlich über die Liebe und nicht über Aikido – schon klar – aber irgendwie ist das doch alles sowieso das gleiche, oder?

Besonders gut hat mir beim Lesen des Buches gefallen, dass Stenudd beschreibt, dass Aikido nicht wie Wasser oder wie Luft sein sollte (obwohl beides schon ziemlich erstrebenswert und schwer zu erreichen ist), sondern wie ein Vakuum. Ein Vakuum ist die *Abwesenheit* von etwas. Das finde ich sehr spannend und es passt in die Idee, dass man nicht sich selbst zum Mittelpunkt der Bewegung macht, nicht das Ego, sondern dass man versucht sich leer zu machen und einen gemeinsamen Mittelpunkt mit Uke zu finden. Jorma sagte in einem Interview im Aikidojournal ja mal, dass man seiner Meinung nach „Raum in sich selbst“ für Uke schaffen muss. Das finde ich sehr schön und nachdenkenswert.

Gestern Abend im Training haben wir wieder die Highfalls gegen irimi nage geübt und ich war von den Socken, wie das anfängt zu funktionieren und die ersten sich gestern tatsächlich aus der Technik im Stand gegenseitig so geworfen haben und sich auch das Fallen zugetraut haben. Einerseits ist das ja von mir nicht ganz uneigennützig – je mehr Leute das können umso öfter kann ich es auch selbst üben und trainieren, und das macht einfach einen Höllenspaß. Andererseits aber glaube ich, dass dieses Fallen auch das Gespür für den Kontakt verbessert und generell das Verständnis von Ukemi verändert.

Heute und morgen werde ich meinen Knien, die von den Plastikmatten in Schweden und im Böblinger Murkenbachdojo vom letzten Wochenende ziemlich mitgenommen sind, eine Pause gönnen, damit ich am Wochenende in Düsseldorf bei Mouliko Halén richtig mitmachen kann. Ich freu mich schon sehr drauf!

Sonja

Aiki Pop?

November 14, 2007

Ingo Pohlmann (eine Art Reinhard Mey in cool – erst recht seit er von Surferdude Jack Johnson den Ritterschlag in Sachen Coolness in Form eines öffentlichen Kooperations-Angebotes auf seiner Website erhalten hat) hat seine neue Platte „Fliegende Fische“ rausgebracht und ich hatte heute das Vergnügen, sie mir vier Stunden lang im Auto anhören zu dürfen. Pohlmann hatte sich schon mit seiner letzten Platte in mein Herz gesungen und nach dieser hier kommt er da auch so schnell nicht mehr raus. Wer guten deutschen Pop/Rock mit wirklich schlauen Texten mag die unter die Haut gehen kommt an Pohlmann nicht vorbei. Und wer in den nächsten Wochen in meinem Auto mitfährt auch nicht.

Was das jetzt mit Aikido zu tun hat? Nun ja, man könnte mir vorwerfen, dass ich in alles was mir so über den Weg läuft Aikido-Gedanken reininterpretiere, aber mal ehrlich, das liegt bei folgendem Text doch nun wirklich nahe:

Gib dich hin wie ein Tropfen
Der zum Meer geworden ist.
Gib dich hin wie ein Hauch von dir
Der Himmel ist.

Du berührst die Welt in dir
Du berührst die Welt in dir
Spür die Energie
Sei wie das Wasser
Sagt Bruce Lee.

Spätestens mit der Erwähnung Bruce Lees hat Pohlmann sich seine Pohlposition (haha – sorry, der musste sein) in meinem Musik-Herz gesichert. Und dann höre ich auch noch folgendes:

Auch wenn es scheint, dass nichts gelingt,
Ja wenn es scheint, dass nichts gelingt,
Ist manchmal das, ganz genau das,
Was uns weiterbringt.

Und wieder fühlte ich mich an Aikido erinnert. Aikido oder das Leben. Henne oder Ei, gewissermaßen.

Schönen Abend noch,
Sonja

PS: Pohlmann spielt übrigens am 29.11. in der Röhre – und ich hab schon ein Ticket 🙂

Aiaiai

September 18, 2007

Ai wird meines Erachtens unterschätzt. Wir reden ziemlich oft von Ki. In meinem Fall ohne – wenn ich mal ganz ehrlich bin – genau zu wissen was das eigentlich ist. Mein erster Aikido-Lehrer Christian Wichmann sagte mal: „Ki ist wenn´s im Dunkeln leuchtet.“ und wollte damit andeuten, dass er (damals Nidan) auch nicht wirklich weiß bzw wusste, worum es geht. Neulich hörte ich dann „Ki ist wenn eine Blume durch den Asphalt wächst.“ Das gefällt mir gut, trotzdem erklärt es die Sache auch nicht wirklich erschöpfend. Do wiederum ist ein Konzept das zwar vielschichtig, aber trotzdem etwas leichter zu fassen scheint als Ki. Und Ai?

Was genau ist denn Harmonie? Wie merken wir Ai im Training, oder wie merken wir wenn es fehlt? Wie kann man Ai üben? Wo sieht man Ai im Alltag? Wie kann man in einer Konfliktsituation wirkliche Harmonie erreichen ohne faule Kompromisse beiderseits eingehen zu müssen? Ist Harmonie gleichzeitig auch Stillstand, da entgegengesetzte Pole aufgehoben werden?

Diese Gedanken beschäftigen mich und alles was mir derzeit dazu einfällt ist, dass es in der Natur Gegensätze gibt wohin man nur blickt. Ebbe und Flut, Licht und Dunkelheit, heiß und kalt, und irgendwie passen auch yin und yang gut in diese Reihe. Man ist versucht auch noch Gut und Böse dranzuhängen aber genau das scheint nicht zu gehen. Alle anderen Gegensätz sind wertfrei, Gut und Böse sind dies nicht. Wertfreiheit ist für mich aber ein zentraler Punkt zur Konfliktlösung und auch im Aikido. Es gibt zwar schwarz und weiß als farbliche Gegensätze, aber im Sinne von Handlungen und Menschen gibt es nur Grautöne. Polaritäten bzw Gegensätze muss es geben. Wahrscheinlich sind es sogar genau die Polaritäten, die alles im Gleichgewicht halten, da muss man sich ja nur mal Positron und Elektron (stimmt das jetzt?!) et al ansehen. Also muss es immer wieder ein Hin und Her oder eine Art Gegenspiel geben, um Harmonie zu erzeugen. So wie bei Ebbe und Flut – ein gutes Beispiel, wie ich finde. Uke und Nage sind oft wie Ebbe und Flut, die Energie fließt hin und her und an Wellenbewegungen mangelt es ebenfalls nicht 🙂 Und dann soll man ja auch noch sein wie Wasser. Es geht nicht darum, Gegensätze aufzuheben, sondern sie miteinander in Einklang zu bringen. Das ist jetzt mal mein temporäres Fazit. Auf jeden Fall sagte ich gestern, als ich nach meinem Wunschkennzeichen für mein neues Auto gefragt wurde nicht „BB-KI“ 🙂

Sonja